Endlich auch in Deutschland anzutreffen: KILL or be KILLED. Die Comic-Serie, die in Amerika bereits seit August 2016 im Handel erhältlich ist und monatlich um eine neue Ausgabe ergänzt wird, hat es nun auch bis zu uns geschafft. Das wurde auch Zeit – interessante Story, die sich um einen Gedanken drehen: Wer hat es eigentlich verdient zu sterben?
Um was geht’s?
Dylan hat so seine Probleme: Er ist 28, Student an der NYU – ohne bisher seinen Abschluss zu erlangen – und mit seiner besten Freundin Kira läuft es auch nicht so, wie es soll. Sie hat sich mit seinem Mitbewohner Mason eingelassen und beachtet ihn seither kaum noch. Dabei ist sie es, die ihn als einzige wirklich versteht. Als Kira begann sich vor einem Monat heimlich und offensiv an ihn ranzuschmeißen, ohne dass Mason davon jemals Kenntnis genommen hat, schöpft er Hoffnung – Kira könnten sich von Mason trennen und sie werden zusammen glücklich. Er hört zufällig ein Gespräch zwischen den beiden, in dem Kira Mason mitteilt, dass Dylan ihm leid täte – und die Hoffnung ist davon. Sie hat ihn nur geküsst, weil er ihr leid tut? Das ist zu viel für Dylan und er versucht erneut sich das Leben zu nehmen. Diese Mal soll es todsicher klappen – er stürzt sich kurzerhand vom Dach seine Wohnhauses, das 6 Stockwerke fasst.
Wirklich todsicher?
Dylan kann es kaum fassen: er schlägt am Boden auf – es tut alles weh, aber er lebt. Seine Gedanken kreisen um alles Mögliche – um Kira – er fühlt sich lebendiger als je zuvor, das muss das Adrenalin sein. Oder nicht?
In der Suizidnacht, und nachdem er sich vom ersten Schock erholt hat, wird er von einer dämonischen Gestalt in Form dunkler Schatten heimgesucht, die ihm offenbart, dass sie für sein Überleben verantwortlich ist. Sie verlangt „ein Leben für ein Leben“ – Monat für Monat, das wäre die Pacht für sein eigenes, das er wegwerfen wollte. Träumt er nur? Ist er beim Sturz auf den Kopf gefallen? Hat er eine Psychose? Halluzinationen? Scheint irgendwie real zu sein, diese Gestalt.
Was für eine Wahl hat Dylan?
Eigentlich keine. Seine Alternativen sind so gesehen recht einfach: Entweder bringt er jemanden um oder er stirbt selbst – und seine gerade entdeckte Lebenslust möchte er nicht so schnell beenden. Dylan ist anfangs noch etwas skeptisch, ob das alles nicht eine bloße Einbildung seiner Phantasie ist. Nachdem es ihm aber zunehmend und ohne Grund immer schlechter geht, muss er handeln. Die dämonische Gestalt macht ihm unmissverständlich klar, dass er das Leben eines Menschen, der es verdient hat, beenden soll.
Die großen Fragen
Es beginnt das eigentlich Interessante: Wer hat es verdient zu sterben? Wer ist so böse, so brutal, so gefährlich, dass er es wirklich verdient hat zu sterben? Wen kann man möglichst einfach aus dem Weg räumen, ohne andere zu verletzen und Dylan zudem als „Anfänger“ nicht erwischt wird? Ist es möglich, dass ein Mord auch gut sein kann? Oder versucht er nur einen Mord irgendwie zu rechtfertigen? Wie und mit was sollte man eigentlich jemanden umbringen? Wann ist der richtige Zeitpunkt? Es gibt weder eine Art Handbuch, in dem diese Fragen geduldig und zufriedenstellend beantwortet werden noch offene Bücher über die illegalen Geschäfte und Orte der Bösewichte. Aber Dylan hat einen Plan – ist die Frage, ob er ihn wirklich in die Tat umsetzen kann? Monat für Monat?
Etwas gespoilert
Hat es ein pädophiler Mann, der seine Neigungen an seinem eigenen Bruder auslebte, verdient zu sterben? Laut Dylan hat er! Der Bruder war sein bester Freund, der dieses Trauma nicht überwunden hat und in jungen Jahren an seinem eigenen Drogenmissbrauch gestorben ist. Er konnte eine nicht registrierte Pistole seines Vaters ausfindig machen und sein erstes Opfer ausspähen, den perfekten Zeitpunkt abwarten – und boom, er drückt ab. Ein gutes Gefühl, nachdem Dylan erfährt, dass dessen Tod ein illegaler Ring Pädophiler aufflog. Er hatte die Freiheit seine Opfer selbst auszuwählen und er hat richtig gewählt. Wer sollte als nächstes dran glauben? Trifft es auch beim nächsten Mal den Richtigen?
Zeichnungen & Koloration
Der Comic ist nicht nur wegen der Story den Kauf wert – schon allein wegen der Zeichnungen und der sehr gelungenen Koloration würde ich mir diesen als Comicliebhaber (wenn auch Neuling) anschaffen. Die Darstellungen transportieren die Geschichte und die Charaktere sehr authentisch, in Kombination mit der satten, aber farblich sehr passenden Farbgebung geben sie die Stimmung und das Geschehen getreu wieder. Man kann das Düstere geradezu einfangen und steckt mittendrin, wenn man sich auf den Comic und die Story gänzlich einlässt. Nacht, Dunkelheit, Dreck, ein Schuss – es riecht förmlich nach Schießpulver und schmeckt metallisch nach Blut, das in der Luft nur so umherfliegt. Sean Phillips und Elisabeth Breitweiser legen ein großartiges Handwerk an den Tag, um das ich beide sehr beneide. Detailliert fangen sie Situationen und Gefühle ein, deutlich vor allen an Mimik und Gestik der Figuren erkennbar – jede Falte sitz am richtigen Fleck. Interessant auch die unterschiedlichen Perspektiven, in der einzelne Szenen gezeigt werden – wenn sie durch einen überschneidenden oder rückblickenden Erzählstrang unterbrochen werden. Die Panels sind dabei unterschiedlich angeordnet, manches Mal über zwei Seiten, überlappend oder ineinadnergeschoben – ungewöhnlich, aber der Story nach sehr sinnvoll eingesetzt. Die Erzählstruktur an sich war anfangs etwas verwirrend, aber gut: Dem Leser kommt es so vor, dass der Autor ihn direkt anspricht und versucht zu erzählen, was ihm wiederfahren ist, weshalb er gewissen Dinge tat und noch tut. Er beginnt die Story am Ende, springt an den Anfang und ist doch wieder mittendrin. Der Autor greift oftmals schon vor und der Leser weiß was passiert, aber das „Warum“ erfährt er erst nach und nach. Eine richtige Spannung mag sich so eher selten aufbauen (die es natürlich dennoch gibt), aber aus meiner Sicht ist das genau so gewollt. Es geht eher um die Entwicklung der Handlung und des Handelnden als um einen großen Überraschungmoment. Dylan scheint sich mit der Rolle des Killers allmählich abzufinden und hat (auch stilistisch genial gelöst) etwas sehr Bedrohliches an sich, wenn er eine Waffe in den Händen hält. Der Ausdruck wird hart und grimmig, ein richtiger Bad Ass-Typ, aber ohne Waffe ist er ein lieber, unscheinbarer Junge von nebenan.
Was es noch zu sagen gibt: Im Comic kommen an der ein oder anderen Stelle einige Cover von älteren Heftchen aus den 60-er Jahren (Männermagazine) zum Einsatz. Dylans Vater verdiente als Illustrator sein Geld, bevor er selbst Suizid beging. Er ist von der Arbeit seines Vaters so begeistert, dass er die Hefte ab und zu betrachtet, sodass auch der Leser einen Blick darauf werfen kann. Die sind nicht nur wirklich gut, sondern haben etwas Selbstreflexives an sich: kleine Meisterwerke, die sich stilistisch zwar vom Comic unterscheiden, aber selbst in einem Meisterwerk, nämlich dem Comic, zum Tragen kommen.
Das Thema & die Serie
Ich frage mich immer, wie ich wohl reagieren würde? Vermutlich direkt mal einen Arzt aufsuchen und klarstellen, dass ich nicht verrückt geworden bin, sondern alles in „echt“ passiert und passierte. Das ist das Spannende: man weiß es auch bei Dylan einfach nicht. Würde ich eine solche Person kennen, die es verdient hat zu sterben, die ich guten Gewissens einfach mal killen kann? Auf Anhieb: nein. Wie komme ich an eine solche Person und woher beziehe ich eine Waffe? Es muss wirklich eine logistische Meisterleistung sein, nicht erwischt zu werden – und das Monat für Monat. Würde ich mich daran gewöhnen, es mir gut reden, wie auch Dylan das versucht? Macht das die Welt ein bisschen besser? Könnte ich überhaupt jemanden umbringen? Wenn es um das eigene Leben geht, an dem ich ja dann doch sehr hänge? Vermutlich – ich habe eine Wahl.
Der Comic greift nicht nur ein interessantes Thema auf, er spielt auch an der ein oder anderen Stelle auf verschiedene gesellschaftliche oder weltliche Ereignisse und Geschehnisse an. Wie die dämonische Gestalt zu Beginn des Comics auffordert: „Mach die Augen auf, Dylan. Sieh dir die Welt an.“ Und Dylan macht die Augen auf: Polizisten, die schwarze Kinder erschießen, ein Land, in dem scheinbar jeder Präsident werden kann.
Die Comic-Serie ist lange nicht am Ende. In Amerika erscheint jeden Monat eine neue Ausgabe, die deutsche Ausgabe enthält die ersten vier in einem Band (aktuell bei Ausgabe 14 – Stand 11.12.17). Ich persönlich finde sie zusammengefasst besser als die Einzelausgaben, was wohlmöglich an meiner Ungeduld liegt – das Warten bis zur nächsten Ausgabe ist einfach zu lange, kann’s kaum erwarten. Legt euch den Comic zu – ich fand ihn grandios!
Angaben zum Comic
Titel: KILL or be KILLED
Autor: Ed Brubaker
Zeichner & Colorist: Sean Philipps, Elisabeth Breitweiser
Umfang: 128 Seiten, Hardcover
Verlag: Splitter
Erschienen am: 16.11.2017
Preis: 19,80 €
Band 1 von X
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