DIE Story überhaupt: Wie kann man sich Holmes wohl zu Zeiten vor seinem großen Ruhm als Privatdetektiv vorstellen? War er schon immer so egozentrisch und „bescheiden“? Hat er die Wissenschaft der Deduktion schon immer verfolgt und gelebt? Das erfahren wir in Crime Alleys. „Jede große Erzählung hat einmal ihren Anfang genommen. Die von Sherlock Holmes beginnt hier.“
Mai 1876, London
Sherlock sitzt gemütlich in einer Bar und unterhält sich mit seinem Freund Colin, Inspektor von Scotland Yard, und lauscht seinem Mitbewohner Ron bei seinem Geigenspiel, das musikalisch durch den Abend führt. Sherlock ist tatsächlich gerne in Gesellschaft und äußert Bewunderung für Rons Talent – was ist mit Sherlock los? Seine Beobachtungsgabe ist zwar schon ausgeprägt und die eine oder andere Überheblichkeit ist zu spüren, aber so – nennen wir es „umgänglich“ – habe ich ihn noch nicht erlebt. Kein Wunder, Sherlock befindet sich erst am Anfang seiner Karriere. Aus Zeitvertreib liefert er sich mit Scotland Yard ein Duell um die Aufklärung ungelöster Fälle und scheint sonst in den Tag hinein zu leben.
Eine mysteriöse Entführungsserie
Sherlock beobachtet abends bei der Heimkehr aus der Bibliothek ein verdächtiges Treiben: Sein Mitbewohner wird vor seinem Haus von dunklen Gestalten entführt. Sherlock versucht dies zu verhindern und kann einen der Entführer aufhalten – der Rest türmt samt Ron. Das lässt er natürlich nicht auf sich sitzen und wendet sich an seinen Freund Colin von Scotland Yard. Er erfährt, dass Ron nicht der erste mysteriöse Entführungsfall in London ist – eine regelrechte Entführungsserie von besonders begabten Menschen plagt die Stadt. Warum erfolgen keine Lösegeldforderungen und wer sind die Täter? Was haben die Opfer gemeinsam? Sherlock begibt sich auf die Suche nach Antworten und stößt auf die Abgründe des organisierten Verbrechens, das ihn vor große Aufgaben und Opfer stellt.
Die Moriartys lassen grüßen
Im Zuge seiner Ermittlungen trifft Holmes zum ersten Mal auf seinen Erzfeind Moriarty. Gemeint ist nicht nur James, sondern auch Henry Moriarty, der Vater. Beide sind dem gejagten Verbrechersyndikat angehörig und sind gewillt Sherlock aus dem Weg zu räumen, um unbehelligt ihren Geschäften nachzugehen. Vater und Sohn stoßen aber nicht nur hierbei auf ungeahnte Probleme, auch innerhalb der Familie scheint es zu kriseln. James ist als altbekannter Fiesling noch nicht vollständig ausgebildet, sein Vater hat vorherrschend das Sagen und James muss sich die Anerkennung erst verdienen. Da ist ein Streit vorprogrammiert und das Potential an Bösartigkeit noch ausbaufähig.
Blick in den Comic
Von den Anfängen…
Die Idee Sherlock kennenzulernen bevor er zum „berühmt berüchtigten“ Detective und Legende wurde, finde ich großartig. Watson hat noch nicht die große Bühne betreten und Sherlock ist prinzipiell ein Mann, der in einer Bar mit Freunden etwas trinken geht. Das hat so etwas „Normales“ an sich. Der Comic kommt seinem Ziel durch eine verstrickte Hintergrundgeschichte und der damit verbundenen Charakterentwicklung zu „Sherlock Holmes“ und „James Moriarty“ sehr nahe und überzeugt. Beide haben einen Weg hinter sich und werden erst durch die Geschichte zu dem, was sie sind: Held und Gegenspieler – Protagonist und Antagonist – Gut und Böse, wenn man so will.
Zeichnungen und Geschichte
Ich hatte nun noch nicht so viel Erfahrung mit Comics (für Erwachsene) und war sehr gespannt als ich den Comic im Regal entdeckte. Musste ich haben und lesen. Der Autor hat Gespür für die Epoche und die Charaktere sind glaubhaft dargestellt – die Entwicklung und Handlungen sind logisch aufeinander aufgebaut. Die Zeichnungen von Alessandro Nespolino sind toll, detailreich und mit der Farbgebung in erdigen Tönen sehr viktorianisch angehaucht und verrucht – passend zu Story und im realistischen Stil gehalten.
Obwohl Sherlock Holmes eine fiktive Figur darstellt, habe ich selten (also eigentlich nie) seine Geschichte mit phantastischen Elementen gelesen oder gesehen. Tatsächlich hat mich der Hauch Science-Fiction à la H.G. Wells ein wenig gestört – ist aber für die Geschichte an sich nicht sehr relevant und kann natürlich auch für Abwechslung sorgen. „Crime Alleys“ stammt aus der Feder von Sylvain Cordurié, so ist der Ausflug in das Fantastische vermutlich auch schnell erklärbar: er arbeitete bereits mit Lovecrafts Geschichten an „Sherlock Holmes und das Necronomicon“. Hoffentlich gibt’s hier eine Fortsetzung, das Ende lässt die Hoffnung auf jeden Fall zu.
Details zu Sherlock Holmes – Crime Alleys
Autor: Sylvain Cordurié
Zeichner: Alessandro Nespolino
Umfang: 96, Hardcover
Verlag: Splitter
Erschienen am: 01.04.2015
Preis: 19,80 €
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