Mit Venus H. präsentiert der Verlag Schreiber & Leser eine Gesamtausgabe aus drei einzeln erschienen Titeln: Anja (2005), Miaki (2007) und Wanda (2008). Ein kaltes, erotisch angehauchtes Krimi-Vergnügen (oder -Drama) mit drei Damen aus dem knapp horizontalen Gewerbe.
Um was geht‘s?
Venus H. ist ein Escort-Netzwerk aus gehobenen Frauen, die mehr zu bieten haben als nur ihre unbestrittene Schönheit. Sie besitzen zusätzliche Kenntnisse in einem speziellen Bereich wie zum Beispiel Kunst. So wundert es auch nicht, dass sich nicht jeder diesen exklusiven Service leisten kann – die Frauen stehen ausschließlich einflussreichen Männern der Pariser High Society zur Verfügung. Gemanagt wird das Ganze von „Madame“, die hohe Ansprüche an „ihre“ Frauen stellt und bestimmt, wer welchen Kunden glücklich macht. So müssen Aufträge ohne Widerrede übernommen werden, sonst droht ein Gespräch, das in körperlicher Strafe ausarten kann. „Aufträge“ deshalb, da diese nicht nur die körperliche Befriedigung der Männer beinhaltet, sondern meist ein tieferes Ziel dahintersteckt. Die Damen können für jegliche Dienste gebucht werden: um eine Orgie zu versüßen oder einen Kunstliebhaber um den Verstand zu bringen, so dass dieser der Angebeteten gänzlich ergeben ist. Dementsprechend gut bezahlt wird schließlich auch.
Die drei Geschichten handeln jeweils von einer Frau des Venus H.-Netzwerkes, die in sich geschlossen sind und nur sehr lose zusammenhängen. Schauen wir uns eine Geschichte genauer an.
Cover
Anja
Die Geschichte beginnt schon fast dramatisch mit den ersten Worten der Protagonistin Anja. Sie verkündet im zweiten Satz, dass sie an einem schönen Maimorgen gestorben sei. Sie nimmt uns mit auf ihre Reise und beginnt die Erzählung, wie es zu ihrem unerwarteten und zu frühen Tod gekommen ist.
Anja wartet in einem Pariser Park auf einen Klienten, das Treffen arrangiert von Madame. Der Klient ist allerdings nicht Anjas Kunde, sondern hat einen besonderen Auftrag: sie soll einem Mann schlichtweg den Kopf verdrehen und ihn verführen. Weshalb und warum auf diesem Wege, ist ihr nicht bekannt. Was sie aber weiß, ist, dass der Auserwählte Kunstliebhaber ist und auf diesem Wege zugänglich sei. Nun ist Anja auch bewusst, wieso sie für das Vorhaben die Richtige ist. Ihre Eltern besitzen eine Galerie und so kennt sie sich entsprechend mit Kunst aus, das Opfer wird kein Verdacht schöpfen. Der Klient vereinbart ein unverfängliches Treffen zwischen ihr und ihrem „Date“.
Gesagt, getan. Am nächsten Tag taucht Anja „zufällig“ in einer privaten Galerie auf, augenscheinlich als schöne, selbständige Kunsthändlerin, die im Namen eines Kunden ein Bild verkaufen soll. Das Objekt ihrer Begierde Jacques Audry ist auch anwesend, samt Klient, der sie einander vorstellt. Der Köder ist ausgelegt und die Falle schnappt zu. Kurzerhand verabreden sich beide in einem Café, um sich über Kunst, Künstler und das angebotene Bild auszutauschen. Im Gespräch kommen sich beide schon näher, Anja wählt die Offensive und flirtet, was das Zeug hält. Sie verunsichert den höchst anständigen Jacques, der sich als Gentleman zurückhält, aber scheinbar auch Interesse zeigt. Zum Abschied gibt’s fürs Erste einen zaghaften Kuss.
Zwei Seiten
Anja geht ihrem Job zwar leidenschaftlich nach, aber im Inneren sieht es etwas anders aus. Sie ist nicht nur irgendeine Frau, die man mieten kann oder gar eine Hure. Sie ist eine Frau, die mit ihren Reizen gerne spielt, einen guten Umgang schätzt und diesen auch einfordert. Obwohl sie jobbedingt viele Bekanntschaften und viel körperliche Liebe erfährt, ist sie emotional einsam. Anja selbst beschreibt ihre Tätigkeit als Lust für die anderen, zu der sie nur Grimassen schneidet. So wundert es nicht, dass sie, obwohl sie immer professionell bleibt, allmählich Gefallen an Jacques findet, der keine Kenntnisse von ihrem kleinen Geheimnis hat. Anjas Fassade bröckelt, sie beschließt den Auftrag abzubrechen und sogar ganz aus dem Geschäft auszusteigen. Unverhofft macht ihr Jacques einen Heiratsantrag. Soll sie ihm reinen Wein einschenken und ihm alles offenbaren?
Jacques ist allerdings nicht zufällig Anjas Opfer, denn er hat eigene Probleme. Als Staatsanwalt ermittelt er gegen kriminelle Machenschaften einflussreicher Pariser Politiker, in die er sich am besten nicht einmischen hätte sollen. Dank konsequenter Recherchen und guter Kontakte treibt er eine Beweisakte auf, die alles aufdecken kann. Das nehmen die Männer, die im Mittelpunkt der Untersuchungen stehen, nicht ohne weiteres hin – und setzen Anja auf ihn an… Soll er etwa erpresst werden?
Einblicke Venus H. – Miaki
Sex als Ware, Klischees und die Sache mit dem Prinzen auf dem weißen Pferd
Zunächst muss ich gestehen, dass ich erst dachte, der Comic handle von Agentinnen eines Geheimdienstes. Den Anschein habe ich durch die geheimnisvolle Schilderung der ersten Protagonistin Anja gewonnen, die sehr nüchtern und zu Beginn völlig emotionslos von ihrem Auftrag spricht. Sie schien es gewohnt zu sein, das zu tun, was ihr von Madame aufgetragen wird, ohne zu hinterfragen, weshalb. Ein Auftrag, ein Ziel, ganzer Körpereinsatz – wenn ich da an James Bond denke, ist die Beschreibung doch recht passend. Dass sich diese sehr klare und sachliche Beschreibung auch auf ihren eigentlich Job als Escort münzen lässt, wird schnell begreiflich. Verführung ist ihre Ware, die sie an dem Mann bringt und Emotionen sind hier fehl am Platz. Und obwohl sie in der Stadt der Liebe tätig ist, Paris – eine Stadt, die zum Träumen und Reisen einlädt, Glanz und Ruhm versprechen kann – ist die Stadt gleichzeitig ein Sumpf aus Verbrechen, Blut, Verwesung und dunklen Gestalten. Hier ist sie gefangen und versucht zu entkommen.
Einige Klischees lassen sich wohl bei der Thematik nicht vermeiden, aber ein wenig Pretty Woman schwingt auf jeden Fall mit. Zwar sucht und wartet Anja nicht auf ihren Prinzen auf dem weißen Pferd, dennoch erhofft sie sich einen. Schließlich wird sie überraschend auch fündig. Alle drei Frauen sind zwar nicht die klassischen von der Industrie oft verkörperten „Huren mit Herz“, kommen diesen aber schon sehr nahe. Der Unterschied ist, dass Autor und Zeichner den Umstand der Prostitution nicht außer Acht lassen. Transportiert wird das Geschäft mit der gekauften Liebe und einem Zwang diesem nachzugehen – Madame gibt Aufträge vor, ein freier Wille sieht anders aus. Einfach aussteigen geht nicht, ein Widersetzen mit körperlicher Züchtigung (auch wenn nicht näher darauf eingegangen wird) bestraft. Einzige Möglichkeit ist ein „frei kaufen“.
Herausgearbeitet werden auch der Umgang und das Verständnis mit und von einer Prostituierten eine Rolle, wenn auch etwas subtil. Zum einen durch die Anspielung eines Lakaien der Madame, der der Überzeugung ist, dass Anja Abwechslung doch möge und Spaß an ihren Job habe. Zum anderen durch einen rabiaten älteren Klienten, der Anja keine große Wertschätzung entgegen bringt, da sie das zu tun habe, wofür man sie bezahle. Eine interessante Lektüre, auch hinsichtlich des Umgangs mit Prostitution in Frankreich, die unter anderem durch den Abolitionismus einen Riegel vorgeschoben bekam und dort seit 2016 gesetzlich verboten ist. Oder auch deshalb, da Paris geschichtlich lange Zeit von Prostitution geprägt war.
Äußerst interessant fand ich persönlich die Nacktszenen, bei denen nicht annähernd die Erotik im Vordergrund steht, sondern viel mehr, das wenig sinnliche und kopflose sexuelle Treiben der Teilnehmer. Eine dumpfe Anmache von der Seite, Frauen, die Männer förmlich anspringen und das unverhoffte Anfassen sexuell anziehender Körperteile – Stimmung kommt da nicht wirklich auf, sondern eher ein kühler Schauer. Das unterstützt den Charakter des Körpers als Ware, als mechanischen Gebrauchsgegenstand zusätzlich.
Alle Geschichten sind kleine Krimis, bei denen man hofft, dass die drei Protagonistinnen einen Ausweg finden. Tun sie auch.
Was genau?
Titel: Venus H. (Gesamtausgabe)
Autor: Jean Dufaux
Zeichner: Renaud
Erschienen: 06.02.2018
Verlag: Schreiber & Leser
Seiten: 176, Hardcover
Preis: 27,80 €
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